Warum weint mein Baby so viel?

Das Bedürfnisweinen

Weinen oder Schreien ist für ein Baby eine wichtige Möglichkeit sich zu äußern. So kann es seiner Umgebung mitteilen, dass es ihm nicht gut geht und es Zuwendung benötigt. Die Aufgabe der Eltern ist es daher, die Ursache des Weinens herauszufinden. Vielleicht hat es Hunger, ihm ist zu warm oder es möchte einfach gehalten werden. Diese Art des Weinens wird daher auch als Bedürfnisweinen bezeichnet, da uns das Baby durch sein Weinen einen Hinweis gibt, was es gerade in diesem Moment braucht oder was sich gerade nicht so gut anfühlt.

Gerade in den ersten Lebenswochen und Monaten ist es wichtig, auf diese unmittelbaren Bedürfnisse prompt zu reagieren, so erfährt das Baby, dass "die Welt gut zu ihm ist", eine ganz wesentliche Grundvoraussetzung zum Aufbau von Urvertrauen.

Indem sich Eltern und Kind aufeinander einstimmen, fördert dieses Wechselspiel zudem die Entwicklung einer stabilen Bindung. Eltern, die auf diese Art und Weise in Resonanz mit ihrem Baby sind, entwickeln meistens auch irgendwann ein Gespür dafür, was ihr Baby als nächstes braucht, sodass dieser Art des Weinens zuvor gekommen werden kann.

Das traumatische Weinen

Es gibt jedoch noch einen zweiten Grund für das Weinen von Babys, das lange Zeit nicht richtig gedeutet wurde. Vor allem durch die Arbeiten der Entwicklungspsychologin Aletha Solter beginnt man hier langsam ein Bewusstsein für diese Art des Weinens zu entwickeln.

 

Viele Eltern machen auch die Erfahrung, dass ihr Baby weint, obwohl alle Bedürfnisse erfüllt sind.

 

Besonders in den Nachmittags- oder Abendstunden tritt diese Art des Weinens häufig auf. Manche Babys weinen ohne ersichtliche Ursache und obwohl die Eltern alles probieren. Nicht immer ist es nämlich die Gegenwart, die beweint wird. Weinen kann ebenso der Verarbeitung von Stress oder Erlebtem dienen. Hierbei wird also die Vergangenheit beweint, das Weinen selbst wird zum Bedürfnis. Man spricht in diesem Zusammenhang daher auch von einem "traumatischen Weinen".

Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass Gefühlsausbrüche, auch Weinen und Schreien, wichtig sind, um nach einem Stress oder einer Schocksituation zu verhindern, dass sich die Angst auslösende Situation im Körper als Trauma festsetzt. Manchmal beweint ein Baby vielleicht einfach nur einen aufregenden Tag mit vielen neuen Eindrücken. Wenn man jedoch einmal bedenkt, wie aufregend und mit wieviel Angst die eigene Geburt wohl erlebt worden ist, ist es nur zu verständlich, dass ein Baby viel zu verarbeiten hat und vielleicht noch lange Zeit immer wieder heftig darüber weinen muss. 

Lange Zeit ist diese Art des Weinens nicht richtig verstanden worden, galt es doch als gesetzt, ein Baby niemals weinen zu lassen "wie früher".

 

Das Weinen oder auch das Schreien hat in diesem Fall jedoch einen heilenden Effekt und das heisst auch, dass nicht jedes Weinen sofort aufhören muss.

 

Ganz wichtig ist allerdings, sein Kind beim Weinen nicht allein zu lassen, sondern als Trost spendende Bezugsperson für das Kind emotional verfügbar zu sein, so dass es sich mit all seinen Gefühlen gespiegelt und angenommen fühlt. Es hat ausdrücklich nichts mit "Schreien lassen" zu tun.

Zur Weinbegleitung kann die Mutter ihr Kind z.B. auf den Arm nehmen und ruhig halten, es sich auf den Bauch legen oder sich eng neben ihr Kind legen. Das Baby darf nun seinen Gefühlen freien Ausdruck verleihen und das Weinen soll nicht durch blosse Ablenkung unterdrückt werden.

Es ist wichtig anzuerkennen, dass Weinen selbst ein Bedürfnis sein kann. Wenn dieses Weinen immer wieder gestoppt wird durch Ablenkung oder Stillen, obwohl das Kind nicht hungrig ist, dann kann es sein, dass sich ein sog. "Ersatzkontakt" bildet. Das Kind lernt dann fälschlicherweise "immer dann, wenn ich traurig bin, brauche ich Nahrungsaufnahme oder eine ablenkende Aktion seitens der Eltern". Essen oder Trinken stellen jedoch keinen ehrlichen Trost dar, die aufgeladene Spannung im Körper kann sich nicht durch das Weinen abbauen und die anfängliche Beruhigung währt daher meistens nur kurz.

 

 

 

Sonderfall "Schreibaby-Phänomen"

Es gibt Babys. die weinen so viel und so heftig über mehrere Stunden am Tag oder sogar manchmal sogar immer, wenn sie nicht gerade schlafen oder trinken. Diese Art des Weinens beginnt meist unmittelbar nach der Geburt und wird erst mit Erreichen des 4. Lebensmonats weniger, wobei der Höhepunkt im Alter von 6 Wochen erreicht ist. Dieser Ausnahmezustand kann mit einer extremen emotionalen und körperlichen Belastung einhergehen. Er stellt insofern einen Sonderfall des traumatischen Weinens dar, als dass hier neben der Verarbeitung von Erlebtem auch noch andere Ursachen in Erwägung gezogen werden sollten. 

Sowohl der Kinderarzt als auch hierauf spezialisierte Therapeuten sind zunächst wichtige Ansprechpartner, um organische Ursachen auszuschliessen. Insgesamt sind leider die eigentlichen Ursachen seitens der konventionellen Medizin nicht ausreichend erforscht. Zur Diskussion stehen einerseits körperliche Traumata wie das sog. KISS-Syndrom (Kopfgelenk-induzierte-Symmetriestörung) oder auch eine Unverträglichkeit von Nahrungsmitteln, z.B eine Kuhmilchunverträglichkeit. 

Da sich diese Kinder in einem Zustand höchster Erregung befinden, könnte andererseits eine Überreizung des Nervensystems eine mögliche Erklärung ein. Leider gibt es bislang jedoch keine Studien, die beispielsweise die Auswirkung von Medikamenten während der Geburt, jemals untersucht haben. Insbesondere Opioid-haltige Schmerz- und Beruhigungsmittel oder andere Wirkstoffe, die sich auf das Nervensystem auswirken, kommen in Frage.

 

 

Homöopathische Nachbehandlung der Geburt

In der homöopathischen Anamnese wird der gesamte Geburtsverlauf, der Ablauf der Schwangerschaft sowie die erste Zeit nach der Geburt im Detail besprochen. In dieser sensiblen Phase können zahlreiche Prägungen entstehen, die einen Menschen sein Leben lang begleiten können. Immer wieder habe ich erlebt, dass sich die Erlebnisse während der Geburt als der Schlüssel zum Fallverständnis heraus gestellt haben. Durch das Verständnis, was beide, Mutter und Kind, gemeinsam erlebt und gefühlt haben, können mögliche Traumatisierungen erkannt werden. Mutter und Kind stellen in dieser Zeit eine Einheit dar und daher wirkt es sich auch auf das Kind aus, wenn die Mutter während der Geburt etwas nicht vertragen hat. In der Homöopathie gibt es eine Reihe von Arzneien, die auf die Folgen von Schreck, Schock und Kummer gegeben werden können, auch Jahre später noch. Auch modernere Arzneien wie die sog. Muttermittel haben sich hierbei als sehr wertvoll erwiesen. Wurden während der Geburt Medikamente gegeben, können gegebenenfalls entsprechende homöopathische Antidote verordnet werden.

 

 

Quellen:

 

Aletha J. Solter: Warum Babys weinen. Die Gefühle von Kleinkindern. Kösel-Verlag

Aletha J. Solter: Healing your traumatized child: A parent's guide to children's natural healing processes, Shining Star Press

Peter Levine, Karin Petersen:  Sprache ohne Worte: Wie unser Körper Trauma verarbeitet und uns in die innere Balance zurück führt, Kösel-Verlag

Peter Levine, Maggie Kline et al.: Kinder vor seelischen Verletzungen schützen: Wie wir sie vor traumatischen Erfahrungen bewahren und im Ernstfall unterstützen können, Kösel-Verlag

Thomas Harms: Keine Angst vor Babytränen: Wie Sie durch Achtsamkeit das Weinen Ihres Babys sicher begleiten. Psychosozial-Verlag